Die Gründung des Frankfurter Instituts für Sozialforschung
Von Seiten des Frankfurter Instituts für Sozialforschung wird dessen Gründung als das Werk begeisterter Anhänger des Marxismus dargestellt, von denen einer seinen schwerreichen Vater zu der nötigen Spende bewegen konnte:
Gesellschaftspolitisch nicht minder bedeutsam und kaum vorstellbar damals an einem anderen Ort war 1923 die Einrichtung der ersten Forschungsstätte für den wissenschaftlichen Marxismus an einer deutschen Universität durch die Familie Weil mit der Stiftung des Instituts für Sozialforschung samt zugehörigem Lehrstuhl. Die Anregung ging von Felix Weil aus, dessen Vater das Familienvermögen im argentinischen Getreidehandel gemehrt hatte und, aus gesundheitlichen Gründen nach Europa zurückgekehrt, seit 1912 in Frankfurt lebte.
Geschichte des Instituts für Sozialforschung
In Russland waren die Bolschewiken an die Regierung gekommen und benötigten für ihren Marxismus die ganzen Quellen und Unterlagen über das Werk von Marx und Engels. Wie aber daran kommen, wenn sich das Zeug bis dahin vor allem in den Archiven der SPD in Deutschland befand?
Das war die Aufgabe des Instituts, dessen Personalplanung offensichtlich auch von Moskau aus beeinflusst wurde:
Über die Personalfragen schrieb der ungarische Philosoph Béla Fogarasi in einem bisher unveröffentlichten Brief am 20. Februar 1924 an den Direktor des Moskauer Marx-Engels-Instituts David Rjazanov: »Das Institut sollte nach außen einen offiziellen Charakter tragen, in einem freien Verhältnis an die Frankfurter Universität angegliedert sein, so daß zwischen der Universität und dem Institut eine Personalunion bestehen sollte ... Diese Kombination war ganz auf Grünberg zugeschnitten, der für die bürgerliche Welt die nötige Autorität besitzt, nach innen aber die Möglichkeit einer kollektiven marxistischen Forschungs- und Erziehungsarbeit in unserem Sinne gesichert hätte.« Rjazanov war über das Frankfurter Projekt erstmals im September 1922 während eines Kuraufenthalts in Bad Elster von Grünberg in Kenntnis gesetzt worden. Der russische Marx-Engels-Forscher kannte Grünberg aus seiner Emigrationszeit in Wien (1909-1915).
75 Jahre Frankfurter Schule (korrigiert)
Die hochherzige Geldspende zur Gründung des Instituts durch den Getreidehändler diente von seiner Seite vermutlich weniger der Förderung des Marxismus, sondern eher der Zukunft des Getreidehandels mit Russland unter den Bolschewiken. Russland war bis zum Weltkrieg eines der wichtigsten Exportländer von Getreide für Westeuropa gewesen. Dass der Sohn des Getreidehändlers sich nun ausgerechnet zum Marxismus bekennt und den Vater gleich zur Finanzierung des von Moskau benötigten Instituts bewegen kann, dürfte auf demselben Zufall beruhen.
Das Institut ermöglichte die Beschaffung der nötigen Unterlagen für das Studium von Marx und Engels in Moskau, aber eine direkte Geldübergabe aus Russland für die Arbeit des Instituts in Frankfurt wäre doch etwas anrüchig geworden, da war ein privater Spender die ideale Tarnung. Die Leute aus Moskau waren aber gleich vor Ort:
Das Institut profilierte sich in den folgenden Jahren mit Forschungen zur Geschichte des Sozialismus, zur Wirtschaftsgeschichte und Geschichte der Kritik der politischen Ökonomie. Ein untrennbarer Bestandteil der Tätigkeit wurde die Zusammenarbeit mit dem Moskauer Marx-Engels-Institut bei der Herausgabe der ersten Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA).
Bereits einen Monat nach Grünbergs Antrittsrede traf Rjazanov in Frankfurt (Main) ein. In seinem Gepäck der Beschluß des V. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale über die »vollständige Ausgabe der Werke und Briefe von Marx und Engels mit historischkritischen Kommentaren«. Neben Grünberg und Weil waren Friedrich Pollock und Henryk Grossmann als Assistenten des Direktors sowie Rose Wittfogel, die die Bibliothek des Instituts leitete, in die Abstimmung des gemeinsamen Vorgehens einbezogen. (ebenda)
Jetzt mussten nur noch die Quellen gesammelt, kopiert und nach Moskau gebracht werden.
Aus einer Aktennotiz Weils über die Verhandlungen mit Rjazanov gehen weitere wichtige Details hervor, u. a. wie die Kopierarbeiten des Marx-Engels-Nachlasses in Frankfurt (Main) vorbereitet werden sollten. Weiterhin übernahm Weil die Aufgabe, die Verhandlungen mit dem SPD Vorstand über einen Vertrag zur Unterstützung der MEGA zu führen. Außerdem wurde mit Eduard Bernstein Einigung über die Benutzung der bei ihm befindlichen Marx-Dokumente erzielt. (ebenda)
Wer etwas naiv ist, darf selbstverständlich weiter an großzügige Getreidehändler und ihre vom Marxismus begeisterten Söhne glauben.
Die Vorhersehung der Weltwirtschaftskrise
Es ist immer wieder erstaunlich, wie zielgenau einige Publikationen zur Theorie der Krisen kurz vor deren Inszenierung erscheinen:
Als Mitglied des Frankfurter Instituts für Sozialforschung in dessen Frühphase gelangte er durch sein am Vorabend der Weltwirtschaftskrise von 1929 erschienenes Hauptwerk Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems. (Zugleich eine Krisentheorie) zu einem größeren Bekanntheitsgrad. Innerhalb des Marxismus gilt er als ein Vertreter der Zusammenbruchstheorie.
Da war selbstverständlich keine Rede von der Geldpolitik:
Der deutsch-polnische Ökonom Henryk Grossmann (1881–1950) formulierte 1929 in seiner Schrift Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems: „Unsere Aufgabe besteht darin, zu zeigen, wie der kapitalistische Reproduktionsprozess durch Ursachen, die aus dem Wirtschaftskreislauf selbst entspringen, notwendig in zyklischen, also periodisch sich wiederholenden Auf- und Abstiegsbewegungen verläuft und schließlich zum Zusammenbruch des kapitalistischen Systems führt.“ (S. 79).
Wikipedia: Zusammenbruchstheorie
Obwohl Henryk Grossmann die Geldpolitik nicht ganz unbekannt gewesen sein konnte:
Er übersiedelte im November 1925 nach Frankfurt am Main und wurde Mitarbeiter am Institut für Sozialforschung unter dessen erstem Direktor Grünberg. Neben Friedrich Pollock war Grossmann von nun an einer von zwei Hauptassistenten am Institut. 1927 erhielt er zudem die Venia legendi für Volkswirtschaftslehre an der Universität Frankfurt. Thema der öffentlichen Antrittsvorlesung: Oresmius und Kopernikus als Geldtheoretiker. Im Jahr 1930 erfolgte daselbst seine Berufung zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor. Im gleichen Jahr ernannte ihn das Internationale Agrar Institut in Moskau für sein Hauptwerk ehrenhalber zum aktiven Mitglied.
Den Nicolaus Oresmius (Die Geldlehre des Spätmittelalters - PDF) kennen wirklich nur die Spezialisten der Geldpolitik.
Die Zeitschrift für Sozialforschung
Es ist natürlich interessant, ganz gezielt nachzulesen, was die ZfS im Jahr 1932 ihren Lesern an Aufklärung zum Thema der Weltwirtschaftskrise zu bieten wusste. Das Thema wurde nicht gemieden, sondern Max Horkheimer begann auf der Seite 1 im Jahr 1932 mit dem Thema, es war ihm wohl auch die Dramatik der sich anbahnenden Ereignisse voll bewusst:
Wie der Verlauf früherer Krisen zeigt, wird sich das wirtschaftliche Gleichgewicht erst auf dem Wege der in ungeheurem Umfang stattfindenden Vernichtung menschlicher und sachlicher Werte
wiederherstellen.
Horkheimer: Bemerkungen über Wissenschaft und Krise, 1932
Seite 2
Der Rest seines Artikel ist dummes Geschwafel. Man muss sich nur vorstellen, dass diese Krise mit expansiver Geldpolitik und Reflationierung sofort zu beenden gewesen wäre, ohne eine weitere "Vernichtung menschlicher und sachlicher Werte".
Frankfurter Adorno-Vorlesungen
Die Wegbereiter der neoliberalen Agendapolitik in Deutschland dürfen sich in den Frankfurter Adorno-Vorlesungen des IfS wieder ganz als revolutionäre Marxisten geben, wie der für seine Vorschläge zum Niedrigstlohnsektor berüchtigte Soziologe Wolfgang Streeck. Streeck war aktives Mitglied im Sozialdemokratischen Hochschulbund (SHB) und Mitbegründer des Sozialistischen Büros in Offenbach; seit 1995 ist er Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung und war einschlägig bekannter Regierungsberater von Kanzler Schröder und seinem Minister Riester.
Er war also genau der richtige Mann für die Adorno-Vorlesung des Jahres 2012 und hat diese in einem Buch publiziert:
Wolfgang Streeck: Gekaufte Zeit Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus
Dankenswerterweise hat Albrecht Müller von den Nachdenkseiten die dazu nötige Buchbesprechung geliefert:
Der Soziologe Wolfgang Streeck war ein durchsetzungsfähiger Wissenschaftler. Aber die ihn heute lobend zitieren, wissen offensichtlich nicht, für was er Pate gestanden hat: für die Agenda 2010.
Wer meint, es gäbe Sprünge oder Widersprüche im Lebenslauf eines Marxisten, Agitators der neoliberalen Agendapolitik und Adorno-Referenten, der hat die Hintergründe von Marxismus und Neoliberalismus und Wirtschaftskrisen noch nicht ganz kapiert.
Die Menschen sind vergesslich und kaum hat man sich versehen, spielen die marxistischen Neoliberalen wieder neoliberale Marxisten oder umgekehrt und jedenfalls dazu immer passend die Jünger von Adorno. Wer aber meint, es seien der Schandtaten nun genug gewesen, der sei gewarnt: Streeck vertritt jetzt die Auflösung der Eurozone und die Rückkehr zu den nationalen Währungen, was das Chaos der Eurokrise auf die Spitze treiben würde. Und nein, er fordert nicht steigende Löhne und Sozialleistungen in Deutschland, um auf diesem Wege das mit seinem Niedriglohnsektor in Deutschland verursachte Ungleichgewicht zwischen den Ländern abzubauen. Damit könnten Spekulanten wie Soros nicht genug verdienen (schreibt er natürlich so nicht).
Nachdem Streeck geholfen hat, das Lohndumping in Deutschland durchzusetzen, fordert er jetzt ein "Recht auf Abwertung" der von eben diesem Lohndumping getroffenen Ökonomien:
Im europäischen Wirtschaftsraum muss das Recht auf Abwertung einer nationalen Währung wiederhergestellt werden. Nur so können kurzfristig soziale Verwerfungen verhindert werden.
Der Euro als frivoles Experiment (Schweizer WOZ vom 24.01.2013)
Und um den Irrsinn eines Auseinanderbrechens der Eurozone auch gegen jede Vernunft zu erreichen, wird von Figuren wie Streeck plötzlich an die Demokratie appelliert. Anlässlich der von ihm propagierten Hartz-Gesetze ist ihm die Demokratie selbstverständlich nicht eingefallen. Aber jetzt, zur Verschärfung der Euro-Krise für die gierigen Spekulanten, wäre die Demokratie gerade wieder recht:
Bis vor kurzem, bis zur Einsetzung der Kommissare Lucas Papademos in Griechenland und Mario Monti in Italien, bestand die europäische Währungsunion ausschliesslich aus demokratischen Staaten. Deren Regierungen konnten oder wollten es sich nicht leisten, ihren real existierenden Staatsvölkern, die sich von den Modellvölkern der reinen marktkapitalistischen Lehre noch immer fundamental unterscheiden, den Krieg zu erklären und sie durch die Mangel der von Brüsseler Technokraten und globalisierten Universalökonomen vorgeschriebenen «Reformen» zu drehen. (ebenda, WOZ)
Schreibt mit Streeck ein Drahtzieher dieser in Deutschland durchgesetzten "Reformpolitik" und fordert jetzt "mehr Demokratie", um den Euroraum zu sprengen!
Stephan Lessenich (Boeckler-Stiftung, 2003) über Streeck als Agitator der Agendapolitik.